Bleifreies löten - welches Lötzinn ist das Richtige?

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Achim
Bleifreies löten - welches Lötzinn ist das Richtige?

Beitrag von Achim » Di Okt 05, 2004 5:58 pm

Der Titel sagt eigntlich schon alles: Vor ein paar Jahren probierte ich zum ersten mal einen bleifreien Lötdraht aus - und war sehr enttäuscht: Schlechtes Flußverhalten und eine brüchige und matte Oberfläche brachten mich zurück zum bleihaltigen Lötzinn.
Jetzt will ich es nocheinmal versuchen (ich denke in der Zwischenzeit hat sich viel verändert). Aber obwohl ich das "Anwenderhandbuch bleifreies Löten" gelesen habe bin ich etwas ratlos:

- Halogenfrei oder nicht: Geht es da um gesundheitliche oder Umweltpolitische Aspekte? Halogenhaltige Lötzinne scheinen ja bessere Flußverhalten zu haben.

- Akivierung: Zu hohe Aktivierungen scheinen auf der fertigen Platine Kriechströme hervorzurufen. Bei zu geringer Aktivierung hingegen fliesst da Lot nicht richtig. Was ist also optimal?

- Lohnt sich der Einsatz von Loten mit hohem Ag bzw. Cu Anteil? Auch hinsichtlich der Standzeit des Lötkolbens? Was ist mit Zusätzen von Bi und Sb?

- Lieber eine oder fünf Flußmittelseelen? Was macht das für einen Unterschied?

Und: Gelegentlich löte ich auch SMD Bauteile: Benötige ich dafür ein anderes Lot (andere Legierung)?

Obwohl ich schon etwa 15 Jahre löte, merke ich, wie wenig Ahnung ich eigentlich von den Details habe. Mit dem S-Sn60Pb40 hat es bisher immer geklappt. Eigentlich schade dass die BleiZeit jetzt vorbei sein soll.

Jens Gruse
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Beitrag von Jens Gruse » Mi Okt 06, 2004 9:36 am

Hallo Achim!

Viele Fragen, kurze Antworten (ok, ich versuche es zumindest... 8) )

1 und 2: Halogenfrei oder nicht: Hat nichts mit Umweltaspekten zu tun, sondern eher mit Fliess- und Benetzungsverhalten, kurz, je mehr Halogene als Aktivator, desto schneller die Benetzung. Andersrum, je mehr Halogene, desto kritischer wird die Zuverlässigkeit der Rückstände im Laufe der Zeit (Korrosionsanfälligkeit bei ungünstigen Umgebungsbedingungen). Hier ist ein geeigneter Kompromiss mit mittlerer Halogenaktivierung eine gängige Lösung, also z.B. STANNOL HS10. Dieser hat eine mittlere Aktivierung und gute elektrische Zuverlässigkeit der Rückstände auf normal lötbaren Oberflächen.

3: Der Einsatz von Silber (und Kupfer) lohnt sich insofern, weil diese Legierung (Sn95,5Ag3,8Cu0,7) den niedrigsten Schmelzpunkt und von den bleifreien Loten noch mit das beste Fliessverhalten aufweist. Zusätze von Bi, Ni, Sb bringen in Punkto Benetzungsverhalten keinen Vorteil, auch die Standzeit der Lötspitze wird dadurch nicht beeinflusst. Die preiswertere Legierungen Sn99,3Cu0,7 (TC) weist ein schlechteres Fliessverhalten auf. Für die Bildung einzelner Lötstellen oder für Reparturlötungen gut einsetzbar, bloss bei Massenlötung im Akkord o.ä. macht sich da schon ein zeitlicher Unterschied pro Lötstelle bemerkbar.

4: Ein oder 5-Seelig: Bei Reparaturlötung eigentlich egal, jedoch bei Verwendung von grösseren Duchmessern (>1mm) auf Lötrobotern sind 3- bzw.5-seelige Drähte besser und zuverlässiger

5: SMD Bauteile lassen sich mit den gleichen bleifreien Lötdrähten verarbeiten wie bedrahtete Bauteile.

Dass die bleifrei Zeit vorbei ist, finde ich auch schade, denn die Prozesse in der Massen- und Einzellötung waren zuverlässig und ausgereift. Bei der Umstellung auf Bleifrei werden wir wieder mit Problemen zu tun haben, die eigentlich ausgestorben schienen..... Die Enttäuschung mit dem Fliessverhalten und der Optik wird aber auch heute noch vorhanden sein, wir arbeiten einfach mit einer anderen Legierung die auch andere physikalische Eigenschaften aufweist. Die nicht so schöne Optik, das schlechtere Fliessverhalten und das geringere Prozessfenster bezüglich der Temperatur, damit werden wir leben müssen!
Freundliche Grüße

Jens Gruse
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Achim

Beitrag von Achim » Mi Okt 06, 2004 3:29 pm

Vielen Dank für die schnelle und klare Antwort! Das hat bei mir doch einiges geklärt :idea:

Jens Gruse
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Beitrag von Jens Gruse » Mi Okt 06, 2004 3:52 pm

Gerne geschehen!
Freundliche Grüße

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